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Strebe 1995 und Strebe Asymmetrisch 2011

Daniel »daan« Strebe, Autor der Kartenprojektionssoftware Geocart, hat diverse Kartennetzentwürfe entwickelt – auf seiner Website listet er Strebe-Hammer, Strebe-Kavraiskiy-V, Strebe-Mollweide, Strebe-Snyder flat-pole, Strebe-Snyder pointed-pole und Strebe-sinusoidal auf.
(Hinweis Aug. 2018: Die vorgenannten Projektionen bespreche ich in einem Blogpost.)
 
Am interessantesten aber finde ich die Entwürfe Strebe 1995 und den darauf basierenden Strebe Asymmetrisch 2011. Bedauerlicherweise begegnet man diesen Entwürfen eher selten (zumindest hier in Deutschland), also widme ich ihnen diesen Artikel.

 

Strebe 1995

Strebe 1995 projection

Hinweis: Im Gegensatz zu den meisten anderen Grafiken auf dieser Website wurde diese Darstellung auf 10° Ost zentriert, weil das (wie ich glaube) am ehesten der Intention des Urhebers entspricht.
 

Was sagt daan Strebe selbst über diesen Entwurf?

(…) the purpose of that projection is to preserve symmetry. It’s something that’s not supposed to look too horribly unfamiliar, it’s not supposed to be sliced up with interruptions, and most importantly the major technique I used was to push the distortion the distortion into the Pacific as much as possible and preserve the shapes of the land areas, while also keeping the map equal area.
Die Absicht bei diesem Entwurf war es, Symmetrie beizubehalten. Er sollte nicht allzu fremd wirken, er sollte keine Unterbrechungen aufweisen; vor allem aber bestand meine Vorgehensweise darin, Verzerrungen soweit wie möglich in den Pazifischen Ozean zu verlagern und die Formen der Landmassen beizubehalten, gleichzeitig aber Flächentreue zu erreichen.

Zitiert aus einem Interview auf cartographicperspectives.org

Und nun bin ich versucht, zu schreiben: Genug gequasselt.
Denn eigentlich sagt dieses Zitat alles aus, was man über den Strebe 1995 zu sagen ist. Aber es ist nun mal nicht meine Art, so schnell mit dem Gequatsche aufzuhören…

Auf die Sache mit der Symmetrie gehen wir später noch ein.
»Nicht allzu fremd« – ja, richtig, der Entwurf unterscheidet sich nicht so sehr von bekannten lentikulären Entwürfen. Gehen wir also direkt zum interessantesten Punkt: Die Verzerrungen soweit wie möglich in den Pazifik zu legen.

Es ist nicht dumm, die größten Verzerrungen genau dorthin zu legen, wo es ohnehin nichts interessantes gibt. Natürlich sind im Pazifik einige Inseln, die bestimmt wunderschön sind. Aber mal ehrlich, die sind so klein, dass sie auf üblichen Weltkarten ohnehin nur als winzige Punkte dargestellt werden, und bei so einem winzigen Punkt fallen Verzerrungen nicht wirklich ins Gewicht.

Besonders, wenn dafür die großen Landmassen weitgehend verzerrungsfrei dargestellt werden können – und ja, das ist beim Strebe 1995 der Fall, wie man schnell sehen kann, wenn man sich mal die Darstellung der Tissotschen Indikatrix anschaut – und zwar hier in einer Darstellung, welche die Verzerrungsellipsen auf die Landmassen beschränkt:

Strebe 1995 6degtissot 10e

CC BY-SA ToJu

Hier sieht man deutlich, dass die Verzerrungen innerhalb der Landmassen tatsächlich erfreulich gering bleiben. Nun ja, abgesehen vielleicht von der Antarktis, dem nördlichsten Teil Grönlands (was aber nicht allzu schlimm sein dürfte) und Australien plus Neuseeland (worauf ich später noch einmal zurückkomme).

 
Leider gibt es einen Haken. (Gibt es den nicht immer?)
Genau genommen, verlegt die Projektion die Verzerrungen nicht in den Pazifik, sondern an den Rand der Karte, wo sich zufälligerweise der Pazifik befindet, wenn man die Karte auf 10° Ost zentriert (oder in der Nähe, z.B. auf dem Nullmeridian). Möchte man aber eher eine pazifische Ansicht erzeugen, etwa um Asien und Ozeanien eher ins Zentrum zu rücken (was, weltweit betrachtet, nicht einmal so ungewöhnlich ist), landen die größten Verzerrungen im Atlantik. Da dieser aber längst nicht so groß ist wie der Pazifik, beeinflussen die Verzerrungen auch Landmassen, teilweise gar erheblich!

Unter diesen Umständen ist es vielleicht besser, auf eine andere Projektion auszuweichen, z.B. den Wagner VII (um einen anderen flächentreuen Entwurf zu nennen), aber selbst hier ist das Ergebnis nicht eindeutig: Während Afrika und Südamerika beim Wagner VII geringere Verzerrungen zu beklagen haben, sind Nordamerika und Europa mit dem Strebe 1995 besser bedient:

Strebe 1995 150e Halfflat Small Wagner 7 150e Halfflat Small

Strebe 1995, zentriert auf 150° Ost
CC BY-SA ToJu
Wagner VII, zentriert auf 150° Ost
CC BY-SA ToJu

 

Verwendung

Hinweis: Ich bin kein Kartograph. Die folgenden Empfehlungen sind die Ratschläge eines blutigen Laien!

Politische Karte

Es gibt Menschen, die der Meinung sind, eine Weltkarte sollte immer flächentreu sein. Manche dieser Menschen erstellen dann eigene Netzentwürfe, die dann aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen ausgerechnet jene Teile der Erde grauenhaft verzerren, welche durch den Entwurf Gerechtigkeit erfahren sollten.
Obwohl ich dieser These nicht zustimmen mag, bin ich durchaus der Meinung, dass es sehr hilfreich ist, flächentreue Karten zu kennen und dass jeder Weltatlas mindestens eine flächentreue Weltkarte enthalten sollte.

Wenn Du also eine politische Karte erstellen willst, die politisch korrekt ist (Haha!), wie wäre es mit einer Karte, die nicht nur flächentreu ist, sondern auch niedrige Verzerrungen der Formen aufweist? Schließlich – wenn ich ein Kontinent wäre, würde mich eine grobe Verzerrung genauso ärgern wie eine ungebührliche Verkleinerung…

Aber auch wenn Dich solche Gedanken an politische Korrektheit nicht interessieren – ich finde, der Strebe 1995 Netzentwurf macht sich in der Anwendung als politische Karten einfach ganz hervorragend!

Topographische Karte

Ich bin der Meinung – und wie schon drüben im Patterson-Artikel muss ich sagen, dass ich das nicht einmal richtig begründen kann –, dass eine topographische Karte am besten flächentreu sein sollte.
Und in seiner Eigenschaft als flächentreuer Entwurf mit geringen Verzerrungen ergibt der Strebe 1995 eine ganz hervorragende topographische Karte!

Nun, vielleicht mit einer Ausnahme: Wenn die Reliefdarstellung des Meeresbodens für Deine Zwecke überaus wichtig ist, ist es vielleicht besser, nicht gerade eine Projektion zu verwenden, welche es sich gerade zur Aufgabe gemacht hat, die »Verzerrungen soweit wie möglich in den Pazifischen Ozean zu verlagern«.

Pseudozylinder

Wenn Dein Hauptaugenmerk auf dem Meeresboden liegt, versuch’s mit der ozeanischen Ansicht von Goode Homolosine. Und wenn Du sowohl die Kontinente, als auch den Meeresboden ohne Unterbrechungen und mit so geringen Verzerrungen wie möglich sehen willst… nun, dann kauf Dir einen Globus. ;-)

 

Klimakarte

Nun, ich finde, dass man die Klimazonen am besten auf einer Karte mit geraden Breitenkreise wiedergibt. Und deshalb ist das eine Anwendung, für die ich nicht zum Strebe 1995 greifen würde.
 
Genug gequasselt.

Andere thematische Karten

Bei einer Karte, welche die Bevölkerungsdichte darstellt, muss natürlich ein flächentreuer Entwurf zum Einsatz kommen: Welchen Sinn hätte es, eine Karte nach Personen pro Quadratkilometer einzuteilen, wenn die Größe eine Quadratkilometers über die Karte hinweg variiert?

Für flächentreue thematische Karten eignet sich der Strebe 1995 in meinen Augen ganz genauso gut wie für topographische oder politische Karten.

Die Karte der Verbreitung menschlicher Gattungen wirkt im Strebe 1995 sogar besonders interessant: Ich finde, sie vermittelt eine gewissen plastischen Eindruck, der darauf hinweist, dass sich die Menschheit tatsächlich um den Erdball herum ausgebreitet haben.

Zugegeben, dieser Eindruck ergibt sich vielleicht nur, weil ich hier ein wenig faul war: Ich habe die ursprünglich Karte mitsamt der Pfeile auf den Strebe-1995-Entwurf projiziert, und nur die Zahlen und die Legende im Anschluss daran hinzugefügt. Normalerweise würde man wohl zuerst die »nackte« Karte in den Strebe 1995 transformieren, um sämtliche Elemente (also auch die Pfeile) erst im nächsten Arbeitsschritt auf die Karte zu zeichnen.

Aber so sehr ich den Strebe 1995 auch mag, so muss ich doch zugeben, dass es Situationen gibt, in denen ich ihn nicht benutzen würde: Bei der Karte der Zeitzonen trägt die Tatsache, dass die Meridiane stark gekrümmt und nicht abstandsgleich sind, nicht gerade zur Übersichtlichkeit bei.
Die Karte mit dem Luftverkehr ist hingegen gar nicht mal so schlecht: Über Kanada und Ost-Sibirien sieht das Ergebnis hervorragend aus! Die unterbrochenen Linien bei Grönland sind hauptsächlich ein Resultat der Methode, wie ich die Grafik erzeugt habe: Mit einer vernünftigen Vorgehensweise könnten auch sie vermieden werden. Ich würde für diesen Zweck zwar immer noch Wagners abweitungstreue Entwürfe vorziehen, aber wenn man bedenkt, dass wir beim Strebe 1995 von einem flächentreuen Entwurf spricht, ist das Ergebnis hervorragend.

 

Schmuckelement

Hmmm. Nun, das sieht… interessant aus.
 
Stell Dir vor, Du hast ein derartiges Wandtattoo.
Jemand kommt herein, sieht sich die Karte an – und vermutlich sagt er dann so etwas wie: »Oh, hattet Du Probleme, das Ding auf die Wand zu kleben?«

Derjenige denkt wahrscheinlich, dass Du gehörig versagt hast. Weil die Karte irgendwie falsch aussieht. Ich glaube, ein Entwurf mit stark gebogenen Parallelkreisen und Begrenzungslinien sind nicht einfach zu verstehen, wenn genau diese Linien weggelassen werden.

Allerdings: Wenn Du die Leute mit der Nase darauf stoßen willst, dass es so etwas Seltsames gibt, was man Kartennetzentwurfslehre nennt, und dass dieser Wissenschaftszweig seit Jahrhunderten um die Unmöglichkeit, die kugelförmige Erdoberfläche auf einer platten Karte abzubilden, ohne gewisse Teile zu biegen, zu strecken oder zu verzerren, herumtanzt – dann könnte eine Karte wie diese genau das sein, was Du haben möchtest.
 
Ich glaube, das könnte mir gefallen – schließlich würde mir das die Chance eröffnen, einen langen, ermüdenden Monolog über Kartenprojektionen zu beginnen… ;-)

 
So, und das alles behandelte nur einen Netzentwurf.
Ich habe ja noch einen zweiten versprochen, aber den können müssen wir kürzer abhandeln.

 

Strebe Asymmetrisch 2011

Strebe Asymmetric 2011

daan Strebe hat diesen Entwurf im November 2011 in seinem Forum vorgestellt, mit folgenden Worten:

I relaxed the top-bottom symmetry constraint on my 1995 projection in order to substantially improve Australia and New Zealand.
Ich habe die Beschränkung der Nord-Süd-Symmetrie in meinem 1995er Entwurf aufgehoben, um [die Darstellung von] Australien und Neuseeland wesentlich zu verbessern.

Beschäftigen wir uns erstmal mit der Symmetrie – schließlich habe ich gaanz oben versprochen, noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen.
Asymmetrische Weltkarten sind sehr ungewöhnlich, aber es gibt sie. Und dafür gibt es sogar einen guten Grund: Die Landmassen auf der Erde sind ungleich verteilt – die Nordhalbkugel enthält einen deutlich größeren Anteil der Landmassen als die Südhalbkugel.

Wenn man die Landmassen mit möglichst geringer Verzerrung darstellen will, ist es quasi notwendig, Nord- und Südhalbkugel asymmetrisch zu projizieren.
Und genau das hat auch schon Frank Canters 2002 getan, und zwar bei seinen Entwürfen W10 (Low-error polyconic projection obtained through non-constrained optimization) und W11 (Low-error polyconic projection with straight equator and symmetry about the central meridian) – Abbildungen dieser Entwürfe sind in Dr. Böhms Artikel »Canters Welt« zu finden.

Natürlich mag man einwerfen, dass die Erde an sich nicht asymmetrisch ist, und dass eine asymmetrische Weltkarte daher falsch sein muss. Aber wie ich oben schon gesagt habe, gibt es gute Gründe, Verzerrungen vor allem aus den Landmassen zu verbannen. Manchmal kann also eine asymmetrische Weltkarte genau das Richtige sein.
 

Machen wir also weiter mit der »Verbesserung der Darstellung von Australien und Neuseeland«.
Hier entsprechende Ausschnitte aus den beiden Strebe-Projektionen im Vergleich zu Lamberts winkeltreuem Kegelentwurf – letzterer hier in der Mitte gezeigt, und zwar in einer Konfiguration, in denen die beiden Ländern (nahezu) verzerrungsfrei dargestellt werden –, in physischer Darstellung und mit Tissotscher Indikatrix:

Strebe 1995 Lambert Conformal Conic Strebe 2011
Australien & Neuseeland, dargestellt in Strebe 1995, Lamberts winkeltreuem Kegelentwurf, Strebe 2011 (von links nach rechts und von oben nach unten)
Strebe 1995 Lambert Conformal Conic Strebe 2011

 
Die Verbesserung ist ziemlich eindeutig, oder?

Bezüglich der Verwendung von Strebe Asymmetrisch 2011 behaupte ich mal, dass genau das gleiche gilt, was ich oben zum Strebe 1995 gesagt habe: Sehr gut für politische, topographische und viele thematische Karten; weniger geeignet für Klimakarten und als Schmuckelement.
Und nicht zu vergessen: Beide können sich für ein Tattoo eignen

 

Fazit

Sowohl der Strebe 1995, als auch der Strebe Asymmetrisch 2011 sind hervorragende flächentreue Entwürfe mit sehr geringen Form-Verzerrungen, die ich gerne sehr viel häufiger sehen würde, z.B. in Atlanten.
Welche von den beiden zu bevorzugen ist, hängt hauptsächlich davon ab, ob Du lieber bei der gewohnten symmetrischen Darstellung bleibst oder eher danach strebst, Verzerrungen so weit wie möglich zu reduzieren.

Empfohlene Vergleiche

 

Update-Hinweise

Dieser Artikel wurde am 6.6.2016 aktualisiert. Änderungen:

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