Wagners Netzentwürfe (Teil 2): Verwendung
Hinweis: Ich bin kein Kartograph. Die folgenden Empfehlungen sind die Ratschläge eines blutigen Laien!
Wagners neunköpfige Entwurfsfamilie mit sinnvoll ausgewählten Parametern bietet natürlich breite Anwendungsmöglichkeiten.
Ich möchte behaupten: Für übliche Weltkarten – gemeint ist: wie man sie in Atlanten und Lexika sieht, in Nachrichten und
Zeitungsartikeln oder auf Wandkarten – kann man eine alte, unter Typographen verwendete, Redewendung abwandeln:
When in doubt, use Wagner. [1]
Das bedeutet nicht, dass eine Wagner-Projektion stets die beste aller Möglichkeiten darstellt; sondern nur, dass ein Wagner-Entwurf eigentlich nie so ganz falsch ist. (Davon ausgenommen sind natürlich Sonderfälle wie z.B. eine Karte für die Navigation, bei der sich immer noch Mercator anbietet, oder für Funkdienste, bei denen zu Recht gerne die mittabstandstreue Azimutalprojektion verwendet wird.)
Bleibt also noch die Frage, welche der neun Wagner-Projektion man für einen bestimmten Zweck verwenden sollte. Im Folgenden möchte ich meine Antworten auf diese Fragen vorstellen.
Topographische Karte
Wagner IV Projektion, topographisch ToJu
Wie ich bereits an anderer Stelle gesagt habe: Für eine topographische Karte für ich immer eine flächentreue Projektion wählen
– im Falle von Wagner also einen der Entwürfe I, IV und VII. Wagner I streiche ich als erstes, denn seine sinusförmigen Meridiane
wirken heutzutage doch sehr ungewohnt. Von den beiden verbliebenen würde ich Wagner VII vorziehen:
Afrika wird ein bisschen weniger in die Länge gezogen, wir haben geringere Verzerrungen in den Ecken – und mir gefallen
die gebogenen Pollinien sehr gut. Nichtsdestoweniger macht auch Wagner IV eine gute Figur, wenn man gerade Parallelkreise vorzieht.
Wagner VII Projektion, topographisch ToJu
So, das war der einfache Teil.
Bei den anderen Verwendungsmöglichkeiten fiel es mir viel schwerer, zu einer Entscheidung zu kommen.
Nicht, weil ich keine vernünftige Variante finden konnte, sondern weil es jeweils zu viele
Entwürfe gab, die gute Dienste leisten würden…
Politische Karte
Bevor wir uns Beispiele von politischen Karten in Wagner-Entwürfen ansehen, möchte ich ein wenig abschweifen, indem
ich die Frage stelle:
Muss eine politische Karte flächentreu sein?
Die kurze Antwort lautet: Nein, meiner Meinung nach nicht.
Arno Peters war der Ansicht, dass die flächentreue Karte aus Gründen der Gleichheit und Gerechtigkeit zwingend erforderlich ist:
Kein Land wird bevorzugt abgebildet, keins wird vernachlässigt. Aber sagt die Größe eines Landes denn irgendwas über seine Bedeutung
oder seine Macht aus? Ich glaube, die Geschichte hat uns da anderes gelehrt. Was ist denn überhaupt ein bedeutendes Land?
In den meisten Hinsichten ist das bedeutendste Land der Erde immer das, in dem man zufällig lebt.
Darüber hinaus: Hilft eine flächentreue Darstellung wirklich dabei, die Größen von Ländern zu vergleichen?
Natürlich führt eine flächentreue Karte (im Gegensatz zur Mercator-Projektion) nicht zu der irrigen Annahme, dass Grönland größer als Südamerika sei,
während Südamerika tatsächlich etwa siebenmal größer ist als Grönland.
Aber sieh Dir die folgenden Darstellungen an, in denen ich Chile (rot) und Sambia (blau) hervorgehoben habe. Diese beiden Ländern sind nahezu gleich
groß [2]
– aber kannst Du das, rein nach dem Augenmaß, erkennen? Ich kann das mit Sicherheit nicht. Ja, ich sehe, dass sie sich etwa in der
gleichen Größenordnung befinden. Aber diesen Eindruck vermitteln auch viele Projektionen, die nicht flächentreu sind; etwa der berühmte Winkel Tripel
oder Wagners Annäherung an diesen, der Wagner IX.
Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, dass eine politische Karte nicht unbedingt flächentreu sein muss.
Wagner VII Projektion, politisch ToJu
Nachdem ich das gesagt habe, kommen wir nun zu meinen eigentlichen Empfehlungen.
Und ich fange mir dem flächentreuen Entwurf Wagner VII an…
Wie bitte? – Habe ich nicht gerade langwierig ausgeführt, dass eine politische Karte nicht flächentreu sein muss?
Sicher, aber ich habe nicht gesagt, dass sie nicht flächentreu sein darf. Und der Wagner VII gehört meiner Meinung
nach nun einmal zu den besten flächentreuen Entwürfen – zumindest unter den Projektionen mit einer Pollinie.
Wenn Du also eine flächentreue politische Karte willst, ist der Wagner VII ein sehr gute Wahl – wobei ich dafür allerdings auch den Strebe 1995 in Erwägung ziehen würde.
Wagner V Projektion, politisch ToJu
Falls gradlinige Breitenkreise gewünscht sind, wäre der Wagner V meine Empfehlung:
Ein aphylaktischer
Entwurf, der sich nicht weit von der Flächentreue entfernt. Im Vergleich zu seinen flächentreuen Brüdern verbessert er die Formwiedergabe,
vermittelt aber immer noch eine gute Darstellung der Größenverhältnisse.
Wagner VIII Projektion, politisch ToJu
Aber mein Favorit in diesem Bereich ist der Wagner VIII: Vermittelnde Eigenschaften wie beim Wagner V, dienen die gebogenen Breitenkreise (wie beim Wagner VII) einer weiteren Verbesserung der Formen.
Karl-Heinz Wagner selbst schien ähnlicher Ansicht zu sein, denn im Columbus Weltatlas von 1961, welcher von Wagner bearbeitet wurde,
findet sich genau dieser Entwurf für die Darstellung der Weltkarte.
Wie könnte ich da widersprechen? ;-)
Aber dies sind nur meine Favoriten. Im Grunde genommen denke ich, dass man eigentlich alle Wagner-Entwürfe ganz gut für eine politische Karte nehmen kann. Daher hier auch noch eine Ansicht der restlichen Projektionen. Entscheide Dich selbst, welche Dir am besten gefällt.
Klimakarte
Wagner VI, Klimakarte ToJu
Ich habe es schon an anderer Stelle gesagt:
Klimazonen stehen in direktem Bezug zu den Breitengraden – als Faustregel lässt sich ja sagen:
Je weiter entfernt vom Äquator, desto kälter.
Und deshalb würde ich für eine Klimakarte stets einen Entwurf mit geraden Breitenkreisen empfehlen –
und auch mit gleichabständigen Breitenkreisen. Natürlich werden die polaren Zonen dadurch
insgesamt vergrößert, aber ihre reale Nord-Süd-Ausdehnung wird beibehalten, was in diesem Fall meines
Erachtens wichtiger ist.
Unter diesen Voraussetzungen bleiben uns Wagner III und VI.
Wagner III (40°), Klimakarte ToJu
Wenn man berücksichtigt, dass elliptisch gebogene Meridiane heutzutage sehr viel verbreiteter sind, würden sich die meisten Leute wohl für den Wagner VI entscheiden. Ich denke aber, dass auch der Wagner III eine vorzügliche Klimakarte abgibt, besonders wenn die von Wagner vorgesehene Option, die Schnittparallele frei wählen zu können, ausnutzt.
Entscheidet man sich beispielsweise, die Schnittparallele auf 40° Nord/Süd zu setzen, erhält man eine Grafik, die in horizontaler Richtung weniger Platz verbraucht, die gleichen Informationen transportiert – und die, zumindest laut Wagner selbst, »eine bessere Verteilung der Verzerrungen« aufweist. Selbst wenn man dem nicht zustimmt… nun, ehrlich gesagt, bin ich nicht der Meinung, dass man Formverzerrungen bei einer Klimakarte unbedingt vermeiden muss.
Thematische Karten
Für eine thematische Karte spielt es natürlich eine große Rolle, welche Art von Informationen man grafisch aufbereiten will. Wagners gut ausgebaute Entwurfsfamilie bietet für fast jeden Zweck einen geeigneten Vertreter. Aber fangen wir andersherum an und zeigen ein Beispiel, bei dem ein Wagner-Entwurf vielleicht nicht die beste Wahl sein mag: Wenn ich bei der Klimakarte einen Entwurf mit gerade Breitenkreisen empfehle, weil das dargestellte Phänomen einen engen Bezug zum Breitengrad hat, dann muss ich für Zeitzonen, die einen engen Bezug zum Längengrad haben, auch eine Projektion mit geraden Meridianen empfehlen – also einen zylindrischen Entwurf. Und so einen gibt es bei Wagner nun mal nicht.
Wagner V, Zeitzonen ToJu
Andererseits finde ich nicht, dass eine Zeitzonen-Karte in einer pseudozylindrischen Projektion unverständlich wird – und sie hat sogar den Vorteil, dass sie den (korrekten!) Eindruck vermittelt, dass die Zeitzonen zu den Polen hin konvergieren. Da ich in diesem Fall keinen Sinn darin sehe, Größenverhältnisse oder die Formen der Kontinente korrekt darzustellen, entscheide ich mich für den vermittelnden Wagner V.
Wagner VII, Bevölkerungsdichte ToJu
Beim nächsten Beispiel haben wir es einfach:
Wenn die Dichte gewisser Phänomene gezeigt werden soll, bietet sich natürlich eine flächentreue Karte an.
Es bleiben also abermals Wagner I, IV und VII; und abermals würde ich den Wagner VII bevorzugen.
Natürlich ist das eine rein ästhetische Entscheidung, also sehen wir uns die gleiche Karte wenigstens noch schnell im Wagner I und IV an:
Wagner IX, Luftverkehr ToJu
Hier haben wir ein schönes Beispiel dafür, dass man den Entwurf bei thematischen Karten sorgfältig auswählen sollte:
Wenn man den weltweiten Flugverkehr darstellen will, muss man beachten, das viele Routen die nordpolaren Zonen überqueren.
Es ist also eine gute Idee, sich für eine Projektion zu entscheiden, die diese Bereiche vertikal nicht komprimiert
– andernfalls wird die Karte ziemlich unübersichtlich werden.
Ein Fall für Wagners abweitungstreue Entwürfe.
Als großer Freund der Lentikulären entscheide ich mich hier für den Wagner IX, aber Wagner III und VI
sind ebenso geeignet.
Hier die beiden letztgenannten – zusammen mit dem Wagner IV, der als flächentreuer Entwurf die polaren Regionen in Nord-Süd-Richtung zusammendrückt und daher als schlechtes Beispiel für diesen Zweck dienen soll:
Und nur nebenbei, die Luftverkehrs-Karten können auch ein gutes Beispiel sein, um Schülern zu zeigen, dass Kartenprojektionen einen in die Irre führen können, wenn man nicht weiß, wie sie zu verstehen sind: Bei diesen Darstellungen wirkt es so, als ob die Maschinen nördlich von Kanada und Sibirien eine Kurve fliegen. Natürlich tun sie das nicht. Sie fliegen eine gerade Linie, wie in der auf den Nordpol zentrierten mittabstandstreuen Azimutalprojektion deutlich sichtbar ist.
Hinweis: Auf die thematische Karte mit der Ausbreitung menschlicher Gattungen, die ich in den Artikeln über Patterson und Strebe verwendet habe, verzichte ich ab jetzt. Sie war von vornherein kein besonders gelungenes Beispiel, da es bei dieser Karte eigentlich relativ egal ist, welche Projektion man verwendet.
Schmuckelement
Bei den Schmuckelement-Karten sieht das Ergebnis ganz anders aus, als ich erwartet hätte. Bevor ich diese Karten generiert habe, hatte ich erwartet, dass die Pseudozylinder mit elliptischen Kurven (also Wagner IV, V und VI) mit Abstand am besten aussehen würden. Ich dachte, die ausgeprägte Scherung der Pseudozylinder mit Sinuskurven (Wagner I, II, III) sowie die gekrümmten Breitenkreise und Pollinien der lentikulären Entwürfe (Wagner VII, VIII, IX) würden die Projektionen einfach falsch aussehen lassen, sobald man sie ihrer Gradnetze und äußeren Begrenzungslinien beraubt.
Aber als ich die fertigen Karten betrachtet habe, bin ich zu anderen Ansichten gelangt.
- Bei den flächentreuen Varianten (Wagner I, IV, VII) erschienen mir die polaren Regionen (besonders Grönland) unerfreulich zusammengequetscht;
- bei den abweitungstreuen Varianten (III, VI, IX) hingegen fiel mir die Vergrößerung Grönlands viel unangenehmer auf, als wenn man genau die gleichen Entwürfe etwa bei politischen Karten benutzt;
- das o.g. Scheren und die gekrümmten Breitenkreise hingegen machten sich weit weniger bemerkbar, als ich gedacht hatte.
Unterm Strich gefallen mir also die vermittelnden Projektionen Wagner II, V und VIII soweit am besten. Und unter diesen dreien ist der Wagner V mein Favorit – der pseudozylindrische Entwurf mit elliptischen Kurven. Am Ende also kam wenigstens irgendwas noch so, wie ich zuvor gedacht hatte. Eine besondere Überraschung gab es aber auch: Der modifizierte Wagner IX, der hier Wagner IX.i genannt wird, gefiel mir genauso gut wie der Wagner V.
In diesem Fall zeige ich also mal alle zehn Varianten. Such Dir aus, welche Dir am besten gefällt:
Fazit
Wie ich eingangs schon gesagt habe, findet man für viele Zwecke eine passende Wagner-Projektion. Ich hoffe, das konnte ich zeigen.
natürlich gibt es immer Alternativen, die genauso gut oder manchmal sogar besser funktionieren:
Für pseudozylindrische flächentreue Projektionen hat man immer noch die Werke von Eckert, und die Hufnagel-Entwürfe
bieten eine große Freiheit in der Gestaltung; für lentikuläre flächentreue Projektionen bieten sich Strebe 1995 und 2011 an.
Falls man einen vermittelnden Entwurf vorzieht, ist man mit den beliebten Robinson- und Winkel-Tripel-Projektionen immer auf der sicheren Seite;
aber auch die Entwürfe von Canters und Ginzburg kann man in Erwägung ziehen.
Und so weiter und so fort.
Wenn man aber eine Handvoll Projektionen mit verschiedenen Eigenschaften braucht, die zur Wahrung der Homogenität einander verwandt aussehen sollen, ist die Wagner-Familie eine hervorragende Wahl.
Und mit dem Wagner I bis IX ist man noch nicht einmal am Ende der Möglichkeiten, die Wagner mit seiner Methode des Umbezifferns von Kartennetzen geschaffen hat. Dies möchte ich im dritten Teil der Artikelreihe zeigen.
Fußnoten
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Die typografische Redewendung lautet: When in doubt, use Caslon – Im Zweifel verwende Caslon.
Caslon ist eine Schrifttype aus dem 18. Jh., die für ihre gute Lesbarkeit bekannt ist. -
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Die Landfläche von Chile beträgt 743.812 km², von Sambia 743.398 km²;
die Gesamtfläche 756.102 km² (Chile) bzw. 752.612 km² (Sambia). [Quelle]
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